"Liebespoesie ohne Worte"
“Pas de Deux” im Tanzquartier Wien
Michaela Preiner


Eine minimalistische Bühne ohne jede Kulisse und ohne Videoproduktion. Nur der nackte Bühnenboden und schwarze, ihn einfassende Wände. Mehr braucht es nicht für das neue Stück von Raimund Hoghe. Oder doch: dazu kommen noch jede Menge Ohrenschmeichler quer durch die Musikgeschichte von Bach bis Edith Piaf, die den Abend in einen ganz besonderen, samtigen Gefühlszustand packen. „Pas de Deux“ – in diesem Titel ist das 2stündige Geschehen tatsächlich komprimiert, und beschreibt in aller Kürze dieses Tanzstück für zwei Personen. Wobei „Tanz“ bei Raimund Hoghe eine individuelle Interpretation erfährt. Der charismatische Deutsche, der durch eine Verkrümmung der Wirbelsäule alles andere als ein tänzerisches Schönheitsideal verkörpert und sein Partner, der junge, athletische Takashi Ueno zeigen darin in einer auf ein Minimum reduzierten Choreografie, was eine Liebesbeziehung zweier Menschen bei diesen bewirken kann. Wo sie Freiräume bietet, wo Begrenzungen bestehen und auch, wo von ihr nichts als Erinnerungen bleiben.
Dabei sind es gerade jene Momente, in welchen das Geschehen beinahe zum Erliegen kommt, die unter die Haut gehen. Momente der kleinen Gesten – wie etwa jene, in welchen die beiden hintereinander nur einen Arm heben und senken und dabei einzig ihre Hände sprechen lassen. Oder jene, in welchen sie abwechselnd den Kopf auf die Brust des anderen legen – ein Ausdruck, in dem die Suche nach dem anderen aber auch die Hingabe an diesen und die absolute Vertrautheit deutlich wird. So einfache Bewegungen wie diese sind es, die den Abend ereignisreich erscheinen lassen, weil sie absolute Aufmerksamkeit vom Publikum einfordern. Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, auf die Gefühle der Tänzer, die sich aber rasch unweigerlich im eigenen emotionalen Erfahrungsschatz widerspiegeln.
Wie auch jenes Gefühl der euphorischen Verliebtheit – in der man Bäume ausreißen könnte oder Luftsprünge machen. So wie es Takashi Ueno tatsächlich vorzeigt. Begleitet nur von kleinen, aufmunternden Hand- und Kopfbewegungen seines Partners, umkreist er diesen im schnellen Laufschritt und macht dabei immer wieder meisterhafte Sprünge, in deren Posen er in der Luft für Bruchteile von Sekunden zu gefrieren scheint. Dieses scheinbare Außerkraftsetzen der Naturgesetze ist nur in jenem Rausch erlebbar, den man absolute Verliebtheit nennt und alle, die dies in ihrem Leben erfahren durften, können sich an diese außergewöhnlichen Emotionen ihr Leben lang erinnern. Meisterlich, wie Hoghe dies mit seiner Choreografie aus den Tiefen des Gefühlsschatzes der ZuseherInnen hervorholen kann.
Dem Choreografen und Tänzer geht es aber nicht um die einseitige Darstellung einer Beziehung zwischen zwei Männern. Vielmehr schlüpfen diese in verschiedene Rollen – auch von Frauen unterschiedlichen Alters und überschreiten auch kulturelle Grenzen. Ihre Schuhe – japanische Getas – verweisen über lange Strecken zwar auf eine asiatische, genauer gesagt japanische Determination – nicht von ungefähr, aufgrund Takashi Uenos Abstammung. Im Epilog, der gekonnt als solcher nach einer Abschlussszene das Publikum noch einmal überrascht, agieren sie jedoch mit goldenen und roten Schärpen als kirchliche Würdenträger und schließen damit den Kreis der menschlichen Emotionen einmal rund um den Erdball. Liebe ist universell und – zumindest bei Hoghe – letzendlich auch geheiligt. Wenn diese noch dazu mit Ritualen einen äußerlich sichtbaren Ausdruck erfahren, wird Liebe in eine Transzendenz eingeschrieben, die extrem berührt.
Selbst wenn von ihr nichts mehr bleibt als die Erinnerung, die Raimund Hoghe als Tanzvideo in seinen Aktenkoffer steckt und wegträgt, oder die Takashi Ueno in athletischen Sitzfiguren mit großer Wehmut zum Ausdruck bringt, selbst dann, wirkt sie in den Menschen weiter. Nicht nur in deren Gedanken, sondern auch in deren körperlichem Ausdruck. Sosehr sich Hoghe und Ueno in ihrem Pas de deux ausleben – bis hin zu einer wunderbaren Passage, in welcher der junge Japaner seinen um so viele Jahre älteren Gefährten in vielen klassischen Hebefiguren schweben lässt – neben all dieser privaten Befindlichkeit fehlt in diesem Stück auch ein gesellschaftspolitischer Ansatz nicht. Den kurzen Texten zu den atomaren Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts, angefangen von den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki bis hin zu den Supergaus in Tschernobyl und Fukushima, folgt eine Passage, in welcher der um einiges kleinere Hoghe seinen körperlich wesentlich stabileren Partner Schritt für Schritt in gewundenen, langen Bahnen über die Bühne führt. Das Dasein für einen anderen, die Hilfe, ausgedrückt in einer körperlichen Unterstützung wird dann zu einem Thema, wenn die Gesellschaft überfordert ist und versagt. Glücklich, wer in solchen Momenten oder gar Zeiten jemanden an seiner Seite weiß. Dass Raimund Hoghe in diesem Stück auch Luca Giacomo Schulte, seinen langjährigen Kompagnon und künstlerischen Berater bedenkt, indem er ihn kurz mit zwei blutroten Blumensträußen auftreten lässt, die er den Tänzern überreicht, passt in dieses Liebes- und Freundschaftsverständnis.
Ein Abend, der berührt und zugleich die Sensibilität dafür wieder weckt, sein Gegenüber in seinem körperlichen Ausdruck feinfühliger wahrzunehmen und seine eigenen partnerschaftlichen Körpermuster zu entdecken.

©Michaela Preiner
European Cultural News, 13.2.2013